«Automatisierung von Marketing und Verkauf ist in fünf Jahren Standard»

Marketing Automatisierung verspricht das Generieren von Leads und Kunden aus einem riesigen Datenpool mit Hilfe von Software-Lösungen. Doch die Sparte sollte nicht isoliert betrachtet werden. In der MK-Umfrage nennen sechs Experten die weiteren nötigen Schritte für erfolgreiche Marketing Automatisierung und auf was KMUs insbesondere achten müssen.

Was kann Marketing Automation und welche Ziele verfolgt die Sparte? Und eignen sich automatische Marketingprozesse auch für KMUs? Ab wann brauchen diese Hilfe von Experten? MK hat sich mit sechs Experten zum Thema unterhalten.

Manuell überfordert

«Automation ist für mich ein zentraler Schlüssel für digitale Marketingerfolge», sagt Timo Kohlberg, Senior Project Manager Adobe Campaign, «denn Marken müssen heute einen riesigen und wachsenden Kundenpool über Dutzende von Kanälen und Plattformen ansprechen und das mit einer immer grösseren Anzahl von Datendimensionen.» Am Ende müsse sich das Ganze dann auch noch für jeden Kunden authentisch und personalisiert anfühlen. «Seien wir ehrlich», sagt Kohlberg, «es gibt keine Möglichkeit, dies manuell zu erreichen.» Auf Marketing Automation spezialisiert ist auch die Schweizer Isolutions AG, sie analysiert Prozesse und die CRM-Maturität und eruiert den Handlungsbedarf. Co-Chef Michael Trummer erläutert die Sparte: «Bei Marketing Automation sprechen wir zum Teil von altem Wein in neuen Schläuchen. Es geht um die Automatisierung von Marketingprozessen und -kampagnen über mehrere Kanäle hinweg, unter Berücksichtigung von Daten und individuellen Kundenmerkmalen.»

Der Brückenschlag

Trummer nennt ein Beispiel: «Sie gehen auf meine Webseite aufgrund einer Google-Suche – ob bezahlt oder nicht. Idealerweise zeigt die Webseite relevante Infos für Sie an. Sie können sich einschreiben für ein White Paper, dann werden Sie automatisch versorgt mit Infos zum Thema. Ab einem gewissen Punkt merken wir, Sie interagieren so stark mit unserer Webseite, so dass sich ein Berater von uns bei Ihnen meldet mit der Frage, ob wir Sie weiter unterstützen können – wie dies ja auch in einem stationären Laden der Fall wäre, wo Sie länger vor einem Artikel stehen bleiben und mit der Zeit von einem Verkäufer angesprochen werden. Hier bewegt sich Marketing Automation in der Domäne von CRM und Customer Journey. MA schlägt da die Brücke.»

Die Reaktionszeit

Andreas Reutimann von Unic nennt einen sensiblen Punkt bei der Marketing Automation, das Verkürzen von Reaktionszeiten: „Es vergehen oft nur wenige Sekunden oder Minuten, in denen eine Recherche zum Aussortieren einzelner Anbieter führt oder sogar eine Kaufentscheidung stattfindet. Reagiert man nicht umgehend mit passenden Inhalten auf bestimmte Informationen oder ein bestimmtes Verhalten, kann dies gravierende Folgen für den eigenen Erfolg haben.“ Der Nutzer soll nicht auf das Unternehmen warten müssen. Als weiteren Punkt fügt er die Mikro-Selektion der Empfänger an: „Es soll möglichst niemand angesprochen werden, für den die jeweilige Massnahme derzeit eine zu geringe Relevanz aufweist“. Der Nutzer soll den Eindruck eines «Perfect-Match» erhalten.

«Automatisierung von Marketing und Verkauf ist in fünf Jahren Standard» MK Marketing Kommunikation
«Automatisierung von Marketing und Verkauf ist in fünf Jahren Standard» MK Marketing Kommunikation 2

Zusammenspiel von Marketing und Verkauf

Alexander Wicki, Senior Advisor Digital Sales & Marketing bei der Zürcher Agentur Atedo, sagt: «Für uns ist wichtig, dass im Bereich der Automation das Marketing nicht isoliert betrachtet wird. In der Automation ist ein enges Zusammenspiel von Marketing und Verkauf entscheidend für den Erfolg.» Der internationale Wettbewerbsdruck steige und stelle laufend erhöhte Anforderungen an Schweizer Unternehmen. «Die Prozess-Automation und personalisierte Informationsübermittlung ist ein entscheidender Faktor, um Effektivität und Effizienz zu steigern. Verkaufs- und Marketing Automation ist eine Teildisziplin der digitalen Transformation und stellt die nächste Evolutionsstufe dar. Immer mehr Kanäle und Touchpoints müssen kundenorientiert gesteuert und orchestriert werden. Ohne Automation ist das gar nicht mehr möglich», sagt Wicki. Blicke man über den grossen Teich nach Nordamerika oder nach England, habe sich das Thema längst etabliert. «Wir sind überzeugt, dass die Automatisierung von Marketing und Verkauf auch in der Schweiz in den nächsten fünf Jahren zum Standard gehört. Daher gilt es dem Thema eine hohe strategische Priorität zu geben. Wer heute damit startet, kann sich je nach Branche noch einen Wettbewerbsvorteil und Vorsprung in der Lernkurve verschaffen.»

Bestandteil des digitalen Marketings

Lukas Fischer, CEO der Digitalagentur Netnode, spricht von einem Trichter: «Ich verwende gerne die Trichter zur Visualisierung. Oben gibt es viele potentielle Interessenten und unten im Trichter gibt es die Abschlüsse. Innerhalb des Trichters gibt es verschiedene Stufen. Ein Interessent wird zum Lead. Ein Lead wird zu einem Kunden mit einem Abschluss.» Marketing Automation versuche diese Schritte zu automatisieren. Auf die strategische Priorität, die eine Firma dem Thema zuordnen soll, angesprochen, sagt Fischer: «Das hängt davon ab, welche Produkte und Dienstleistungen eine Firma anbietet. Marketing Automation eignet sich insbesondere bei B2B-Produkten und Dienstleistungen, welche typischerweise einen hohen Erklärungsbedarf benötigen. Wir verstehen Marketing Automation als Teil der gesamten digitalen Marketing Strategie – oder anders ausgedrückt, der Marketing Strategie in einer digitalen Welt.» Marketing Automation sei ein integraler Bestandteil einer digitalen Marketing-Strategie.

Ab 101 Kunden sinnvoll

Was für digitale Riesen wie Amazon, Zalando oder Booking.com gilt, kann das auch bei KMUs taugen? Gibt es einen kritischen Wert, ab wann sich Marketing Autmoation lohnt? Ab 1000, 2000 Kunden? Michael Trummer von Isolutions sagt dazu: «Ich denke, sobald wir von mehr als 100 Kunden sprechen, macht Marketing Automation Sinn. Gewisse Studien sprechen von einer Umsatzsteigerung von 10 bis 20 Prozent. Und es geht ja nicht darum, Leute im Marketing-Departement zu ersetzen, sondern sie produktiver zu machen.» Viele Online-Shops oder Webseiten seien heute vereinsamt. Doch die Leute, die sich umschauen, gelte es anzusprechen, sie zu begrüssen und per Chat-Agent unaufdringlich ins Gespräch zu kommen, um den Kunden mit weiteren relevanten Informationen zu versorgen. „Wir stellen in den letzten sechs bis zwölf Monaten fest, dass sich immer mehr KMUs für das Thema interessieren und sich für Anwendungen offen zeigen», sagt Trummer. „Das beginnt bei einer banalen Email-Kampagne und der Frage, was ich mit den erhaltenen Daten dann mache. Es geht darum, die Leads systematisch zu generieren über den Einsatz von digitalen Werkzeugen. Marketing wird immer digitaler. Die heutige Kunst ist es, die digitale Welt und die physische Welt zu verknüpfen, hierzu braucht es Technologie, die dann hilft, Infos zu sammeln und zu verarbeiten.

Notwendige Vorarbeiten

Trummer rät aber, dass jede Firma zunächst ein klares Produkt- und Leistungsangebot haben muss und eine möglichst klare Positionierung. „Wenn die Differenzierung nicht gut ersichtlich ist, dann gilt es bei den Basics anzufangen, dann ist mehr strategisches Marketing angesagt. Wenn die Basis da ist, geht es um einen strukturierten Verkaufs- und Marketingprozess . Und erst in der dritten Phase kommt die Technologie hinzu.“ Timo Kohlberg von Adobe Campaign ortet zunehmendes Interesse bei KMUs: “Auch KMUs haben bereits stark von der Automatisierung profitiert, aber sie schöpfen dessen Potenziale noch nicht vollständig aus. Der bisherige Fokus bei vielen dieser Unternehmen war die interne Optimierung und Automatisierung von Prozessen. Doch nur weil interne Abläufe verbessert und effizienter gestaltet werden, ändert sich nicht zwangsläufig das Erlebnis des Kunden. Es gilt also Automatisierung und immer mehr auch KI für eine kundenzentrierte Kommunikation einzusetzen und dies entlang des gesamten Kundenlebenszyklus.»

Direkt durchstarten

Als Beispiel nennt er Onboarding- und Willkommenskampagnen, welche auf Basis erster Daten automatisiert und personalisiert werden können. Durch die Kombination mit KI könnten zukünftig auch noch besser Voraussagen über das Kundenverhalten getroffen werden. Die KI- und Automatisierungslösungen von Adobe seien speziell auf die Bedürfnisse von Anwendern im Digitalen Marketing zugeschnitten. Im Gegensatz zu den meisten anderen Anwendungen benötigt man hier keine Kenntnisse im Bereich Machine Learning oder detaillierte Analysen, um sie zu nutzen. Mit ihnen können KMUs direkt durchstarten.

«Automatisierung von Marketing und Verkauf ist in fünf Jahren Standard» Alex Schoepf Portrait 5158

Wettbewerbsvorteile

Auf Marketing Automation für grosse wie kleine Unternehmen spezialisiert hat sich die 4results in Zürich. «Wir beschleunigen Verkauf und Marketing mit modernen Technologien, damit ein Unternehmen noch schneller nachhaltige Resultate erreicht», sagt Firmengründer Alex Schoepf. Sowohl die Analyse und Strategieberatung wie auch die Evaluation der passenden Tools und deren Implementation gehört zur Dienstleistungspalette von 4results. Er erwähnt, dass die Technologien immer mehr verschmelzen und auch kleineren Firmen mit dem richtigen Mindset schnell Wettbewerbsvorteile bringen. Bei einer Einführung sind gemäss 4results die Strategie sowie die Evaluation des richtigen Systems entscheidend. Sie empfehlen besonders bei diesen zwei Schritten einen externen Sparring-Partner zu involvieren, um aus den Erfahrungen anderer Automations-Projekte zu profitieren. 4results hat über 50 Systeme evaluiert und mit mehr als 10 Systemen gearbeitet. Schoepf erklärt: «Wir befassen uns fortlaufend mit den aktuellen Technologien auf dem Markt. Deshalb kennen wir einige Perlen, die mehr können als die sich gut vermarktenden, teureren bekannten Systeme. So gibt es integrierte Lösungen im Event Management die z.B. mehrstufige smarte Einladungen, CRM, Warteliste, Ticket Scanning, etc. ersetzen. Ein anderes System hat Web- und Call-Tracking komplett integriert, sodass man den Anrufer identifiziert und ihm mit dynamischen Webseiten nur das Relevanteste zeigt für eine optimale Journey».

Bessere Kundenerlebnisse

«Es ist überraschend, wie wenige Marketingleiter den Umfang von diesen integrierten Systemen kennen. Dass genau diese Technologie der Schlüssel ist für die aktuellen Herausforderungen, wie steigende Kanalkomplexität, verändertes Kaufverhalten und zudem die Customer Experience verbessert, wissen die wenigsten», so Schoepf. Um dem entgegen zu wirken, hat er das Buch «Mehr Unternehmenserfolg mit Marketing Automation» geschrieben, um den Unternehmen Marketing Automation mit ihren Vorteilen besser bekannt zu machen und zu motivieren die Hürde für eine Einführung zu nehmen.

Externe Vertrauenspartner

Alexander Wicki von Atedo verweist darauf, dass sich für die Automatisierung wiederholende und standardisierbare Marketing- & Sales-Prozesse eignen: „KMUs können in einem ersten Schritt die vorhandenen Prozesse im Marketing und Vertrieb aufzeichnen und analysieren, um abzuschätzen, wo automatisierte Prozesse sinnvoll sind. Da das Wissen über Marketing- und Sales-Automation zurzeit in vielen Unternehmen noch nicht vorhanden ist, empfiehlt es sich, externe Vertrauens-Partner schon früh hinzuzuziehen. Wichtig bei der Partner-Evaluation ist, dass diese auch die nötige Expertise im Bereich Strategie- und Organisationsentwicklung vorweisen können.“ Wer er es schaffe, Routine-Arbeiten und Workflows zu automatisieren, erhalte mehr Zeit und Ressourcen für die persönliche Interaktion mit den Kunden. Denn heute gelte: Je digitaler die Welt, umso wichtiger und entscheidender wird die Begegnung an den persönlichen Kontaktpunkten entlang der Customer Journey. „Unabhängig der eingesetzten Branche sehe ich die hinter «Marketing-Automation» liegende Grundhaltung strategisch von existenzieller Wichtigkeit», sagt Andy Reutimann von Unic. Dabei sei zweitrangig, ob zwecks Implementierung auf ein darauf spezialisiertes Tool (Suite-Ansatz) oder je nach Massnahme auf eine dedizierte Lösung (Breed-Ansatz) gesetzt wird. „Marketing-Automation ermöglicht einem Unternehmen hergestellte Mittel möglichst optimal zu verteilen und feine Marktveränderungen wahrnehmen zu können“, so Reutimann.

Echtzeit-Reporting

„Grundsätzlich ist Marketing Automation nicht schwierig», sagt Lukas Fischer von Netnode, „viele Firmen sehen aber digitales Marketing immer noch als reinen Kostenfaktor. Hier braucht es einen Mindset-Wechsel. Dieser Mindset Wechsel kann eine Firma kaum alleine meistern. Es braucht neue Herangehensweisen, neue Software Tools und auch eine neue Reporting Struktur. Für diese Beratungen empfehle ich unbedingt eine Agentur beizuziehen.“ Vom Potenzial zeigt sich Fischer jedenfalls überzeugt: „Das Potenzial ist sehr gross. Ist die Marketing Automationslösung aufgesetzt und in Betrieb, läuft diese 24 Stunden 7 Tage die Woche. Durch die Marketing Automation hat man zudem ein Echtzeit-Reporting und sieht sofort, wie gut Marketing und Sales funktionieren.“ Mit diesen Daten könne man künftige Marketing-Kampagnen optimieren, die Supply-Chain optimieren, den Kundenservice optimieren und vieles mehr.“ Autor: Gregor Waser, erstmals erschienen in MK Marketing&Kommunikation 9/19